Die Verwicklerinnen
Während der "Journées du Matrimoine" sind in einer ehemaligen Tuchfabrik Werke zweier Künstlerinnen des Diois zu sehen, welche den Faden, das Textile und das Weibliche bearbeiten. Stéphanie Cailleau lässt Kleider und Kittel mit Blumenmotiven mit lebender Vegetation fusionieren, sodass Artefakt und Natur nicht mehr zu unterscheiden sind und surreale Kostüme entstehen. Eine Hommage an Bäuerinnen, die Schöpferkraft der Natur und das Wiederaufleben des Weiblichen.
Lynn Pook präsentiert eine Sound-Installation mit zarten Geweben aus Kupferdraht und den Worten von Frauen unterschiedlicher Länder, deren Praxis das Verbinden ist - über das Gestrickte, Gewebte, Gehäkelte. Ein Chor aus Lebensgeschichten von Frauen mit vielen Übereinstimmungen und individuellen Besonderheiten, der menschliche Beziehungen und Arten von Wissensweitergabe erfahrbar macht.
Kuratiert von Conny Becker/DIEresidenz für Matrimoine-en-Diois
Vernissage: Freitag, 18 September, 19h
Besuch: Samstag, 19., und Sonntag, 20., 10h-18h
Ort: Cave Girard, rue des Aqueducs, Die
Bild: Stéphanie Cailleau
Matrimoine-en-Diois wird getragen vom Verein Le paradoxe du singe savant (Die) und unterstützt vom Programm 'Mémoires du 21e siecle' DRAC AURA / Region AURA, von 'Patrimoine Innovant' der Drôme, der Delegation für Frauenrechte und Gleichstellung des Départements und von der Stadt Die. Die Journées du Matrimoine sind die Initiative des Mouvement H/F.
mit Drucken von Sari Brunel
und DJ NeoSoulKid
Dr. PONG n°1
Katalogtext für Sylvain Bissonnier (2021)
Bewegte Stille
„Stillleben malt man nicht mehr“, sagt Sylvain Bissonnier, das sei schließlich nicht mehr zeitgemäß. Und doch malt er sie, seit Jahren, wieder und wieder und ist damit im Jahr 2021 wohl ebenso zeitgemäß wie VR-Künstler*. Denn was machen wir momentan anderes, als wie er immer und immer wieder auf dieselben Sachen zu schauen, eingeschlossen in unserer Wohnung seit mehr als einem Jahr? Mit dem Unterschied, dass uns diese Aktivität relativ schnell zermürbt, da uns das kreative Ventil fehlt, wir das Vorgefundene nicht in etwas Neues übersetzen können, Prosa nicht in Poesie.
Sylvain Bissonnier hat sich langsam an das Stillleben herangetastet. Von Tanz, Theater und Marionettenbau kommend, dominieren zunächst menschliche Körper seine Zeichnungen und ab 2010 auch die Malerei: Körper, die wie jene in Egon Schieles Werken ausgemergelt, verdreht, gar gefoltert scheinen. Wie Schiele arbeitet Bissonnier mit einer starken Kontur, jedoch finden sich bei ihm keine Portraits. Seine Körper scheinen vielmehr anonym, austauschbar. Köpfe werden durch die Malerei ausgelöscht, zensiert, was charakteristisch für Bissonniers Werk werden soll.
Bereits bei diesen frühen Bildern lässt der Maler die Farbe an ausgewählten Stellen die Leinwand herabfließen, um auch dadurch der Malerei, der Materie den Vorrang vor der Illusion der Darstellung zu geben. Dies Stilmittel der Tropfenverläufe hat Bissonnier vermutlich dem Surrealisten Dado entlehnt, einem weiteren künstlerischen Vorbild, dessen überbordende Kompositionen sich etwa in der eher abstrakten Serie Carcasse von 2013/14 widerzuspiegeln scheinen.
Nachdem er etwa drei Jahre vorrangig abstrakt gemalt hat, beginnt Bissonnier 2014 mit einer Serie von Stillleben, an welcher er seitdem arbeitet. Die Kompositionen werden zunehmend geordneter, die zuvor popigen schreienden Farben weichen einem reduzierten Spektrum von verwaschenen, unreinen Tönen. Bissonniers Stillleben vermitteln eine beruhigende Stille und lassen an die Arbeiten von Giorgio Morandi denken, der ebenfalls in einem kleinen Wohnatelier immer wieder Flaschen, Vasen und Krüge malte.
Auch in Bissonniers Œuvre finden sich banale Alltagsutensilien wie Flaschen, Gläser, Dosen, Schüsseln – in Gruppen zusammengedrängt, horizontal aneinandergereiht, auf einem nicht weiter definierten Unter- und vor einem ebenso offenen Hintergrund. Das Farbspektrum wird von Blau, Braun und Weiß dominiert; andere Farben wie das Gelb eines zerbrochenen Eies oder das Rot eines Gummihandschuhs setzen kompositorische Akzente, welche die Augen wandern lassen, Bewegung ins Stillleben bringen und wie eigene Entitäten wirken, die miteinander kommunizieren.
Der Eindruck von Bewegung wird verstärkt, wenn der Maler wie bei Noctambule, 2019, ein Bild aus zwei Leinwänden zusammensetzt, die nicht exakt dieselbe Größe aufweisen und leicht zueinander verschoben sind. Dadurch ist der malerische Mittelpunkt des Bildes nicht wirklich zentriert, was es lebendiger erscheinen lässt, aber auch fragiler. Hinzu kommt, dass Bissonnier mit einer dynamischen Kontur arbeitet, welche einen Gegensatz zu den verblassten und verschmutzten Farben bildet. Die Objekte oszillieren somit ständig zwischen ihrem Erscheinen und ihrer Auslöschung.
Die schwarze Tusche verweist bei Bissonnier ebenso auf die Literatur wie auf die Kalligraphie und nicht zuletzt das Comic. Die leicht schiefen, teils verdrehten, verbeulten, in jedem Fall vielfach benutzen Gegenstände scheinen durch den demonstrativen Strich (re)animiert, erhalten so etwas Verspieltes wie auch ihre Autonomie. Die in Szene gesetzten Objekte sind nicht elegant, sondern alt, gebraucht und taugen nicht als Dekoration. Und genau deshalb sind sie uns nah, deshalb rühren sie uns. Es scheint, als hätten die Bilder trotz oder gerade durch die Abwesenheit vom Menschen etwas sehr Humanes.
Einige Gegenstände, etwa eine eingedrückte Plastikflasche, zeigen jedoch konkrete Benutzungsspuren, verweisen damit auf den Menschen, ohne den Bissonniers Stillleben nicht gedacht werden können. Denn immer wieder lassen sich Indizien dafür entdecken, dass jemand unlängst die Szene verlassen hat: das frisch zerschlage Ei, ein Kaffeerest im Glas oder ein Kleidungsstück in den Raumansichten Bissonniers. Und die Pinsel und Farbflaschen, die nun auch inhaltlich wieder die Malerei aufs Tapet bringen und wohlmöglich auf einen der Abwesenden, den Abwesenden, verweisen?
In Demain il fera beau, 2016, etwa scheint der realistisch gemalte Pinsel, der gerade noch die benachbarte Fläche abstrakt übermalt hat, eben in ein – nur durch eine schnell gezeichnete Kontur angedeutetes – Glas abgestellt worden zu sein. Realitätsschichten überlagern sich ebenso wie die verschiedenen Malstile, und auch die Räumlichkeit wird an dieser Stelle surreal. Letzteres geschieht ansonsten eher im Hintergrund, in dem etwa eine Horizontlinie in eine abstrakte, mentale Landschaft führt, einen Blick aufs Meer à la Magritte freigibt (Pharmazie, 2016, benachbart findet sich ein sehr realistisch gemaltes Tuscheglas) oder auf eine nächtliche Seelandschaft à la Monet in Œuf au plat et mauvais temps, 2020.
Und so gibt sich die Malerei Sylvain Bissonniers als ein Vexierspiel aus Stillleben, Autoportrait und Landschaftsmalerei, hier zeichnerisch, dort malerisch, mal naturalistisch, mal abstrakt – und dann und wann mit einem humorvollen Titel, wenn die Farbtöne und die Stimmungslage gar zu dunkel geworden sind und wir riskieren, zu emotional zu werden.
Conny Becker
*Virtual reality